RSS ist zu viel Stress. (cphotos@flickr.com)
Seit ein paar Tagen klicke bzw. tappe ich mich durch die digitale Magazinlandschaft, die sich auf dem iPad so versammelt hat. Wir erinnern uns, das iPad soll ja den Journalismus wieder zu dem machen, was er vor der digitalen Revolution mal war. Einfache, hoch bezahlte Arbeit für eine ehemalige Informationselite. Profitabel.
Erfolgsmodell kalter Kaffee
Die große Hoffnung der Verlage: Apples „lean back“ Konsummaschine soll die Zahlungsbereitschaft für digitalen Content endlich herstellen. Denn wenn etwas Zeit spart und bequem genug ist, dann zahlen Leute auch dafür. Selbst dann, wenn die gleiche Ware unter etwas Anstrengung für günstiger oder gar umsonst zu haben ist. Bestes Beispiel: Der Siegeszug von Kaffeepads. Klar, das Zeug ist teurer als ein Pfund Kaffee im Supermarkt zu kaufen und loszubrühen. Die Plörre ist meistens schon kalt wenn sie aus der Maschine kommt und schmeckt nicht besonders – aber man muss wenigstens nur einen einzigen Knopf drücken. Was wäre also toller für einen Verlag, als das gute alte Geschäftsmodell der Print-Branche auf Tablet-PCs und Ebookreader zu übertragen? Der User kauft mit einem Klick im Apple Store, Android Market oder noch besser: der eigenen Kiosk-App ganz einfach die aktuelle Ausgabe. So weit, so rührend.
Im Appstore nichts Neues
Spiegel, Zeit, Welt und andere Print-Riesen versuchen sich so an der digitalen Zweitverwertung ihrer Heftinhalte. Die Magazin-Apps bieten ihren Abonnenten meist nur eine 1:1 Version der Heftausgabe – teils etwas vor deren Erscheinungstermin. Ein paar Links mit Hintergrundinfos gibt es noch – das war’s an Innovation. Selbst das alte Nerd-Flaggschiff WIRED bietet kaum mehr als ein PDF seiner Printversion, gespickt mit einem paar Click- und Touch- Gimmicks aus der Flashdesign-Mottenkiste. Einzig und allein die neuen Werbeformen wirken etwas frischer. (Findige Anzeigenverkäufer können die vielleicht nahezu zu Print-Konditionen an die Marketingabteilungen großer Marken verticken, anstatt zu „lousy web pennies“.) Wenn man sich als Leser aber einmal an manipulierbare Werbeanzeigen gewöhnt hat, wird man die aber wohl genau so überblättern wie ihr analoges Pendant – die allein werden es also nicht rumreißen können.
Weiteres Problem: In der Informationsflut benötigt man Leuchttürme. Um in der unendlich diversifizierten Welt noch als Informations- oder Meinungsführer akzeptiert zu werden, braucht es sehr starke Marken. Spiegel Online ist das trotz aller Kritik an der Website irgendwann gelungen, mein Brötchengeber Zeit Online sei hier auch erwähnt. Der Huffington Post gelang es sogar ohne einen großen Print-Bruder. Viel mehr positive Beispiele fallen mir nicht ein. Auf einer Wundertüte voller digitalem Content muss zur Zeit noch zwingend ein glaubwürdiger und möglichst cooler Name stehen – besonders, wenn man den Leser über die Bezahlschwelle schubsen möchte.
Flipboard: Kauen auf dem gordischen Knoten
Das Problem der zwingend notwendigen Dachmarke könnte das Modell der App „Flipboard“ einfach umgehen. Die iPad-App funktioniert nicht wie eine Marke, sondern wie ein Aggregator. Sie sammelt schlicht Artikel aus verschiedensten Quellen. Blogs, Webauftritte von Magazinen, Fotos, Videos und Tweets – alle werden grafisch elegant, lesbar und nutzerfreundlich auf dem Tablet serviert. Den Content gibt es im RSS-Reader nebenan zwar auch für umsonst – da sieht es aber nicht halb so schick aus, und man muss sich durch tausende unselektierte Artikel durchwühlen. Anstatt eines Journalisten erledigt bei Flipboard nämlich der eigene Social-Media Freundeskreis sowie der allgemeine Buzz in den Blogs die Themenselektion. Das klingt einfach, könnte aber eben so kriegsentscheidend sein wie Googles damals revolutionäre Strategie, Websites anhand ihrer Link-Struktur zu bewerten. Man stelle es sich vor: Ein Magazin, nur mit Themen, die einen auch interessieren. Ganz einfach, auf Knopfdruck. Gold wert.
Bisher ist Flipboard übrigens völlig kostenlos – weder die App noch der Content muss bezahlt werden. Es gibt nicht mal Werbung. Hier wird wohl rein auf Wachstum bezüglich der kritischen Masse spekuliert, wie es auch Facebook erfolgreich gemacht hat.
Die persönliche Zeitung
Schon in den Anfangstagen der Web-Euphorie träumte man von der individualisierten Tageszeitung. Ein Magazin, zugeschnitten auf den Leser, voll mit interessanten Themen. (Und maßgeschneiderter Werbeanzeigen. Ka-Ching!). Das wäre mit Flipboard inzwischen möglich – ein verlagsübergreifender Content-Mix, zugeschnitten auf die Präferenzen des Lesers. Als Bezahlmodell denkbar wäre auch der Flattr-Stil: Der User zahlt z.B. 4,99 als Flatrate für die Reader-App pro Monat. Der Erlös aus Verkaufs- und Werbeerlösen verteilt sich auf die vom User aufgerufenen Artikel. Liest er nur einen, geht die ganze Kohle an diesen Verlag, bzw. an diesen freien Autor. Liest der Leser 10 Artikel, teilt sich der Gewinn entsprechend auf. Anstatt ein ganzes Bündel zu kaufen, pickt sich der Leser das raus, was ihn auch interessiert – und zahlt nur dafür.
Die Vorteile des Systems liegen auf der Hand: Leser bekommen Artikel über ihren Social-Media-Freundeskreis und „Leser, die diesen Artikel mochten, lasen auch..“ Empfehlungen serviert, die sie auch wirklich interessieren. Verlage bekommen endlich ihren Paid Content, können personalisierte Werbung ausliefern und so mehr Geld für neue, bunte und bessere Anzeigen verlangen. Sie könnten online-content zuerst für das Paid-Medium veröffentlichen, um damit wieder Geld zu verdienen. Nach einer Sperrfrist könnten die Artikel dann ja im freien Netz erscheinen. Vielleicht wird ein Modell wie „Flipboard“ das nächste Web-Phänomen nach Facebook. Vielleicht mache ich mich mit diesem Text auch gerade zum Winklevoss..